Magazin zum Geschäftsbericht 2021
Die Energiewende gestalten

Lösungen von SICK haben schon heute einen festen Platz in Anwendungen rund um Wasserstoff – und hier liegt noch großes Potenzial. Welche Strategie SICK im Bereich Wasserstoffanwendungen verfolgt und welchen Beitrag die Lösungen des Unternehmens zur Energiewende leisten. 
„Grüner“ oder „blauer“ Wasserstoff spielt eine zentrale Rolle bei der Energiewende und wird bereits in vielen Pilotanlagen als Alternative zu CO2 emittierenden Verfahren eingesetzt – zum Beispiel in der Stahl- und der chemischen Industrie oder der Düngemittelherstellung. Auch in das Erdgasnetz wird in Zukunft Wasserstoff eingespeist und reduziert so den Anteil an CO2, der bei der Verbrennung freigesetzt wird. Dazu soll in der ersten Phase Wasserstoff verwendet werden, der mittels Power-to-Gas aus Strom aus regenerativen Ressourcen erzeugt wird – und damit Überschüsse nutzbar macht, die bei besonders viel Sonne oder Wind entstehen. Alle diese Anwendungen rund um Wasserstoff gewinnen weiter an Bedeutung und fordern neue Lösungen von den beteiligten Unternehmen. 
Lösungen für Wasserstoffanwendungen
Schauen wir uns zuerst die Beimischung von Wasserstoff in die Erdgaspipelines an: Heute ist es bereits in einigen Regionen der Welt erlaubt, bis zu 2 Prozent Wasserstoff dem Erdgas beizumengen. 15 bis 30 Prozent werden für die Zukunft als möglich angenommen. Forschungen dafür laufen, denn es müssen zahlreiche Aspekte bei der Auslegung und dem Betrieb von Gasmess- und Regelstationen beachtet werden. Denn: Der Wasserstoff beeinflusst Dichte, Viskosität, Explosivität, Strömungs- und Schallgeschwindigkeit des Gasgemischs. Zudem wird die Lebensdauer der gesamten Pipeline beeinflusst. Das stellt Leitungen, Kompressoren, Dichtungen, Ventile usw. vor völlig neue Herausforderungen. Und auch die Gasdurchflusszähler müssen das Erdgas-Wasserstoff-Gemisch präzise und zuverlässig messen. Das können die FLOWSIC-Geräte von SICK schon heute. Wie sich die Wasserstoffbeimischung auf die Ultraschalltechnologie der FLOWSIC-Geräte auswirkt, hat das Team am SICK-Standort Ottendorf-Okrilla bei Dresden intensiv getestet: „Unsere Geräte messen wasserstoffhaltiges Erdgas heute schon genauso zuverlässig und stabil wie Erdgas ohne Wasserstoff“, sagt Jörg Wenzel, Head of Product Marketing Services and Flow Measurement. „Etwaige Messunsicherheiten kann das Gerät kompensieren.“

Sogar für einen Anteil von bis zu 30 Prozent hat SICK bereits eine Lösung entwickelt. Diese ist nötig, da der Wasserstoff mit seiner geringen Dichte die Schallgeschwindigkeit in der Pipeline stark erhöht: „Herausfordernd ist insbesondere die neue Dynamik in den Anlagen. Bei wenig Sonne und Wind wird kaum Wasserstoff eingespeist. Wenn es hingegen einen Überschuss an erneuerbaren Energien gibt, kann der Anteil Wasserstoff schnell ansteigen. Solche starken Schwankungen sind neu für die Gasinfrastruktur. Die Ultraschalltechnologie unserer Gaszähler ist für diese sich schnell ändernden Prozessbedingungen besonders gut geeignet“, erklärt Wenzel. „Wir messen bei kleinen und bei großen Durchflussmengen sehr genau.“
Start-up für die Umwelt
Ein zweiter großer Einsatzbereich von SICK-Lösungen eröffnet sich rund um Erzeugung, Transport und industriellen Verbrauch von reinem Wasserstoff: Überall entlang des Wasserstoffnetzes müssen Menge und Qualität des Gases gemessen werden – ein Geschäftsfeld mit enormem Potenzial, das SICK im Begriff ist zu erschließen. Die Voraussetzungen dafür sind gut: „Wir sind Weltmarktführer in der eichfähigen Messung von Erdgas mit Ultraschallgaszählern. Unsere Ultraschalldurchfluss-Messtechnologie ist grundsätzlich auch für Anwendungen mit reinem Wasserstoff geeignet“, sagt Frank Hehl, Senior Vice President Global Industry Center Process Automation. Eine Herausforderung ist die hohe Schallgeschwindigkeit im reinen Wasserstoff: In Leitungen mit geringem Durchmesser liegen die Messzeiten im Nanosekunden-Bereich. „Hierfür arbeiten wir gerade an einer komplett neuen Elektronik, die wir gemeinsam mit unseren Kunden ganz nah am praktischen Einsatz testen und weiterentwickeln wollen, um so schnell Marktreife zu erlangen und uns wichtige Marktanteile zu sichern“, erklärt Hehl. „Ein weiteres wichtiges Marktsegment sind die Reinheitsmessungen. Menge und Qualität in einem System zu erfassen ist ein echter Marktvorteil.“ 

Den Ausbau dieser Aktivitäten unterstreicht SICK mit der Gründung eines Start-ups innerhalb des Unternehmens, das neue Marktpotenziale ausloten und Anwendungsmöglichkeiten rund um die Wasserstoffmessung identifizieren soll.

„Bei diesem Ansatz kommt es vor allem darauf an, bei den zahlreichen möglichen Optionen schnell lukrative Geschäftschancen zu identifizieren und attraktive Lösungen gemeinsam mit unseren Kunden zu entwickeln“, sagt Hehl. „Wir haben das Know-how sowie die einmalige Chance, unseren Geschäftserfolg und den Beitrag für eine CO2-arme Zukunft zu verbinden.“
"Das Binden, Lagern und Nutzen von CO2 ist für den Klimaschutz unverzichtbar“
Die Technologie „Carbon Capture, Utilization and Storage“, kurz CCUS, ist eine Möglichkeit, um CO2 aus bestimmten industriellen Prozessen abzuscheiden und unschädlich zu machen. Doch die Methode ist nicht unumstritten. Aurélie Moll, Technical Industry Manager „Carbon Capture Utilization and Storage“, erklärt, warum wir CCUS dennoch zur Erreichung der Klimaziele brauchen – und was SICK damit zu tun hat.
Frau Moll, wie genau funktioniert „Carbon Capture, Utilization and Storage“? 
Seit Beginn des Industriezeitalters stößt die Menschheit ungeheure Mengen CO2 aus – mit den bekannten Folgen. Dazu kommt: Der weltweite Energiebedarf steigt weiter unaufhaltsam an. Zwar gewinnt Strom aus regenerativen Quellen an Bedeutung, doch ist der Weg hin zu „grüner“ Energie noch lang und wird schrittweise erfolgen – von aktuell noch Kohle über Erdgas hin zu Wasserstoff, dem Energieträger der Zukunft. Doch so lange können wir nicht mehr warten. Eine wirksame Möglichkeit, schon jetzt wenigstens einen Teil des Klimagases „unschädlich“ zu machen, ist „Carbon Capture, Utilization and Storage“: Das CO2, das bei bestimmten Industrie- bzw. Verbrennungsprozessen in Kraftwerken anfällt, wird sofort vor Ort abgeschieden. Bis zu 90 Prozent Abscheideraten können hier erreicht werden. Anschließend wird das CO2 durch Umwandlung in andere Produkte mit höherem wirtschaftlichen Wert – etwa synthetische Treibstoffe oder Kunststoffe – weiterverwendet, wobei die Kohlenstoffneutralität insgesamt erhalten bleibt. Oder das CO2 wird tief unter der Erde, zum Beispiel in leeren Gasfeldern, eingelagert. Wichtig ist zu verstehen: Beide Ansätze binden CO2-Emissionen aus bekannten Industrieprozessen.
Aber es wäre doch viel besser, das CO2 gar nicht erst auszustoßen ... 
Ja, aber: In vielen Bereichen können wir derzeit noch nicht vollkommen emissionsfrei agieren, und in bestimmten industriellen Anwendungen lassen sich Emissionen generell nicht vermeiden, zum Beispiel in der Zementherstellung.
Das CO2, das hier anfällt, ist relativ rein und kann daher recht einfach „eingefangen“ und weiterverwendet beziehungsweise gelagert werden. CCUS ist also eine sehr gute Lösung, um solche unvermeidbaren Emissionen klimaunschädlich zu machen. Die Branche arbeitet bereits an Lösungen für „grünen“, also klimaneutral hergestellten Zement.
Das Verfahren wird aber auch durchaus kritisch gesehen. Zu Recht?
Natürlich ist CCUS nicht die Lösung für die Klimakrise. Die Notwendigkeit, CO2-Emissionen nach Kräften zu vermeiden, besteht weiterhin. Aber die Technologie ist – auch, was unterirdische Lagerung des CO2 anbelangt – sicher. Aus allen diesen Gründen ist CCUS ein wesentliches Element in den Szenarien vieler Experten und namhafter Forschungsinstitute, etwa der Internationalen Energieagentur. Auch wir bei SICK sind davon überzeugt, dass das Binden, Lagern und Nutzen von CO2 für den Klimaschutz unverzichtbar ist. Denn, das kann man nicht genug betonen: Uns läuft die Zeit davon, wir müssen handeln. Und Carbon Capture ist eine Technologie, die eben schon heute auf bestehende Anlagen über Nachrüstungen angewendet werden kann und auch neue großtechnische Anlagen ergänzt. Deshalb wollen wir uns hier mit unseren Lösungen noch stärker einbringen – auch wenn das aufgrund von Kritik am Verfahren eventuell auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar ist. 
Welche Lösungen hat SICK für CCUS-Anwendungen und -technologien? 
Das Kohlendioxid wird aus verschiedenen Emissionsquellen abgeschieden, gesammelt und über Pipelines oder Schiffe für weitere Verarbeitungsschritte wie Lagerung oder Nutzung transportiert. Für den Abscheideprozess in den CO2-Wäscher-Anlagen bieten wir heute schon Gasanalysegeräte an, die Prozess- und Emissionsparameter überwachen. Für den darauffolgenden Transport des reinen CO2 sind an jedem der Übergabepunkte Gasdurchflussmessungen notwendig: Menge und Qualität des Gases und eventuell enthaltene Verunreinigungen müssen kontrolliert werden – sowohl, um den Gesundheits- und Umweltschutz zu gewährleisten, als auch, um die exakte Abrechnung mit den Unternehmen oder die Berechnung von CO2-Steuern und -Gutschriften sicherzustellen. SICK hat bereits Lösungen, um diese CO2-Transportanwendungen zu unterstützen. Einige unserer FLOWSIC-Modelle sind schon heute für den Einsatz in CO2-Pipelines geeignet und messen an jedem Anschlusspunkt in der Pipeline exakt die Gasmenge. Der nächste Schritt ist, unsere Produkte so weiterzuentwickeln, dass sie auch für die Qualitätsmessung geeignet sind und zum Beispiel Spuren von Wasser erkennen, das eine korrosive Wirkung auf die Leitungen haben könnte. Rund um CCUS gibt es also viele mögliche Anwendungsfelder für unsere Sensorlösungen. Wir sehen in dieser Technologie großes Potenzial – für uns als Unternehmen, aber eben auch für den Klimaschutz.