Magazin zum Geschäftsbericht 2021
Kooperation schafft Innovation

Eine Intralogistik, die nahtlos und umfassend alle Aufgaben in der jeweiligen Produktion meistert, könnte in naher Zukunft Realität werden. SICK und die Schiller Automatisierungstechnik GmbH arbeiten dafür an einer Plattformlösung. 
Ambitionierter könnte das Ziel kaum sein: Es geht um nicht weniger als eine modulare autonome Intralogistikflotte vom Kommissionierroboter über den Stapler bis hin zum frei fahrenden Routenzug, die lückenlos die gesamte Intralogistik abdecken – und dabei auch Strecken im Außenbereich zurücklegen können. Dieses Projekt ist der bisherige Höhepunkt der Kooperation der SICK AG und der Schiller Automatisierungstechnik GmbH mit Sitz im bayerischen Osterhofen. 

Der Ursprung der Zusammenarbeit liegt im Jahr 2016. Peter Stoiber, Bereichsleiter Mobile Robotics bei Schiller, erzählt: „Ein Kunde aus der Automobilbranche fragte an, ob wir autonom und frei – also ohne Spurführung – fahrende Routenzüge liefern können, die bis zu 1.000 Meter lange Strecken in Fabrikhallen zurücklegen. In diesem Bereich hatten wir damals noch keinerlei Erfahrung, wollten das Projekt jedoch unbedingt realisieren.“ Durch einen glücklichen Zufall wurde Peter Stoiber auf die konturbasierte Lokalisierungslösung aufmerksam, die SICK zu dieser Zeit gerade entwickelte: „Wir bei SICK waren auch auf der Suche nach einem Partner mit Zugang zur Industrieanwendung, der dazu bereit war, diese Lösung mit uns nah am Einsatz in der Praxis zu testen“, sagt Michael Badeja, Produkt Manager Safe Outdoor Automation bei SICK. So wurde aus dem Kontakt eine Win-win-Situation, wie sie passender kaum sein könnte.
Autonom fahrende Routenzüge
Gemeinsam arbeiteten die beiden Partner an einer Lösung. Das Ziel: Routenzüge mit bis zu vier Anhängern (was zehn Metern Länge und rund drei Tonnen Anhängelast entspricht) zu befähigen, mit bis zu zehn Kilometern pro Stunde vollkommen spurunabhängig Produktionsgüter zum nächsten Einsatzort zu transportieren. Die selbstständige Navigation des Zuges erfolgt mittels Lasersignalen der 2D-LiDAR-Sensoren NAV310 von SICK: Ein Algorithmus vergleicht die aus den aktuellen Scandaten gewonnenen Entfernungen kontinuierlich mit der Referenzkarte und liefert so die derzeitige Position und den Orientierungswinkel des Fahrzeugs. Zusätzlich verhindern die Sicherheits-Laserscanner microScan3 von SICK Kollisionen – ein Risiko, das bei frei fahrenden AGVs deutlich höher ist als bei spurgeführten. Der Routenzug bremst automatisch ab, wenn ein Mensch oder Gegenstand erkannt wird. Die komplette Lösung lässt sich auch auf bestehende Routenzüge nachrüsten, wobei die Nutzung mit einem Fahrer nach wie vor möglich ist. Eine attraktive Lösung also, die neue Anwendungen ermöglicht – etwa eine dynamische Routenführung nach Lieferpriorität.

Ende 2018 nahm der nächste Meilenstein der fruchtbaren Kooperation Gestalt an. Der Routenzug desselben Kunden sollte nun zusätzliche Strecken im Außenbereich fahren und eine mehrere Hundert Meter lange Strecke zwischen zwei Produktionshallen zurücklegen – einmal mehr eine völlig neue Herausforderung. Und wieder gab es eine glückliche Fügung in der Zusammenarbeit: SICK hatte gerade zu dieser Zeit den weltweit ersten Sicherheitslaserscanner für den Outdoor-Einsatz unter dem Produktnamen „outdoorScan3“ auf den Markt gebracht. „Dieses Produkt hat es überhaupt erst möglich gemacht, dass wir in die Richtung Outdoor weiterdenken konnten“, berichtet Peter Stoiber. Was die Outdoorscanner leisten müssen, ist beachtlich: „Sonne, Nebel, Regen, Schnee, Eis, Wind – all das darf die Funktionalität und Zuverlässigkeit des automatisierten Systems keinesfalls negativ beeinflussen“, sagt Michael Badeja. „Zudem muss im Außenbereich eine erfolgreiche Lösung sicher und produktiv sein. Da steckt also jede Menge Know-how drin.“
Zuverlässig auch draußen
Also ging das Team ein weiteres Mal unternehmensübergreifend in die Entwicklung: Expertinnen und Experten von Schiller Mobile Robotics und mojin robotics – 2015 als ein Spin-off des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA gegründet und seit Ende 2020 ein Tochterunternehmen von Schiller – arbeiteten gemeinsam mit SICK-Entwicklerinnen und -Entwicklern daran, die Sensorenleistung bei widrigen Umwelt- beziehungsweise Wetterbedingungen für den speziellen Anwendungsfall im frei fahrenden Routenzug weiter zu optimieren.

Wie pragmatisch und praxisnah dabei die Zusammenarbeit lief, zeigt ein Detail: Als besondere Herausforderung kristallisierte sich Spritzwasser heraus, das die Sensoren von unten trifft: „Feine Tropfen, zum Beispiel durch ein vorausfahrendes Fahrzeug, wirken auf dem Sensor wie kleine Linsen und machen ihm die Arbeit schwer“, erklärt Michael Badeja. „Hierfür haben wir gemeinsam eine automatische Reinigungsfunktion mit Druckluft und Wasser entwickelt“, sagt Peter Stoiber. „Dieser ‚airWiper‘ funktioniert im Prinzip wie eine Art ‚Luftscheibenwischer‘.“ Auch diese Lösung musste sich schnell im Praxiseinsatz bewähren: Heute läuft der autonome Outdoor-Routenzug schon zu 100 Prozent sicher und mit einer hohen Verfügbarkeit im realen Feldeinsatz bei einem namhaften Automobilhersteller. 
Plattformlösung im Blick
Doch ist die besondere Kooperation damit noch lange nicht zu Ende: Derzeit arbeitet Schiller an einer Plattformlösung für einen umfassenden und „nahtlosen“ Intralogisitkfuhrpark, der alle Eventualitäten abdeckt – ob drinnen, draußen, frei oder spurgebunden. „Unsere Vision ist ein skalierbares und flexibles Gesamtsystem aus smarten Einzelkomponenten: Dafür brauchen wir eine Kette von autonom fahrenden Fahrzeugen, die einzeln oder im Verbund unterschiedliche Transportaufgaben übernehmen und die Logistikkette lückenlos abdecken – im Innen- wie im Außenbereich“, erklärt Peter Stoiber. Die nächsten Meilensteine auf diesem Weg sind ein autonom fahrender Stapler und ein Kommissionier-Roboter. SICK unterstützt dabei mit seinem umfassenden Know-how im Bereich der Sensorik.

Das zeigt: Die beiden Partner haben keine Angst vor großen Zielen, weil sie wissen, wozu sie gemeinsam in der Lage sind. „Die hohe Konstruktionskomplexität, die geltenden Normen, der Druck, für den Kunden schnell eine Lösung zu liefern – all das machte unsere bisherigen Vorhaben zu einem Wagnis. Aber wir haben es geschafft“, sagt Michael Badeja. „Dazu kommt: Beide Unternehmen haben sich auf ein Terrain gewagt, das nicht ihr ursprüngliches Kerngeschäft ist“, ergänzt Peter Stoiber. „Auch das hat Mut erfordert.“ Die beiden sind sich einig: Vertrauen und die Bereitschaft, für den anderen in Vorleistung zu gehen, sind der Schlüssel zum Erfolg. Beste Voraussetzungen also, um gemeinsam eine Lösung zu schaffen, die den extrem dynamischen Bereich der Intralogistik revolutionieren könnte.